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arum warteten sie, warum hatten sie Angst um einen kleinen Jungen?

 

Weil …

… Joe Pipkin der großartigste Junge war, den es gab. Der großartigste Junge, der je von einem Baum gefallen war und darüber gelacht hatte wie über einen Witz. Der tollste Junge, der je weit in Führung auf der Aschenbahn gelaufen war, sich umgeschaut und seine Freunde kilometerweit hinter sich gesehen hatte, worauf er dann gestolpert und liegengeblieben war, bis sie aufgeholt hatten und sie gemeinsam, Seite an Seite, das Zielband durchreißen konnten. Der fröhlichste Junge, der je alle Spukhäuser in der Stadt aufgespürt hatte, was ja nicht leicht ist, und den anderen davon erzählt und sie dorthin geführt hatte, um die Keller zu durchwühlen und an den efeuüberwucherten Außenmauern hinaufzuklettern und in die Schornsteine zu rufen und vom Dach zu pinkeln und zu johlen und zu toben wie ein Schimpanse und zu kreischen wie ein Brüllaffe. Am Tag, als Joe Pipkin geboren wurde, waren alle Limonaden- und Sprudelwasserflaschen der Welt übergeschäumt, und unternehmungslustige Bienen waren ausgeschwärmt, um alleinstehende Damen zu stechen. An seinen Geburtstagen gab der See mitten im Sommer sein Ufer frei und kehrte mit einer Flutwelle zurück, mit einem großen Schwung von Jungenleibern und einem donnernden Lachen.

Frühmorgens im Bett hörte man einen Vogel ans Fenster picken. Pipkin.
Man streckte den Kopf hinaus in die SchneeRegen-klare-Sommermorgenluft.
Im betauten Gras des Vorgartens waren Kaninchenspuren zu sehen, wo gerade eben nicht ein Dutzend Kaninchen, sondern nur eines voll übersprudelnder Lebensfreude kreuz und quer und im Kreis herumgesprungen war, über Hecken gesetzt, die Spitzen der Farne gestreift und den Klee geknickt hatte. Der Vorgarten sah aus wie das Stellwerk am Rangierbahnhof. Eine Million Fußspuren im Gras, aber kein …
Pipkin.
Und da stand er dann mit einemmal im Vorgarten wie eine wilde Sonnenblume. Sein großes rundes Gesicht leuchtete in der Morgensonne. Seine Augen blinkten Morsesignale:
»Beeil dich! Es ist schon fast wieder vorbei!«
»Was?«
»Heute! Jetzt! Es ist sechs Uhr morgens! Spring hinein! Wate darin herum!«
Oder: »Der Sommer! Ehe du dich’s versiehst – peng! –, ist er schon wieder um! Schnell, beeil dich!«
Und er verschwand zwischen den Sonnenblumen und tauchte zwischen den Zwiebeln wieder auf. Ach, Pipkin, lieber Pipkin – du warst der großartigste und liebenswerteste Junge weit und breit.
Niemand wußte, wie er es schaffte, so schnell zu rennen. Seine Turnschuhe waren uralt. Sie waren grün von den Wäldern, durch die er getrabt war, braun von den abgeernteten Feldern, über die er letztes Jahr den ganzen September gestapft war, teerverschmiert von Wettrennen an Stränden und auf Hafenkais, wo die Kohlenfrachter anlegten, gelb von unachtsamen Hunden, voller Holzsplitter von den Zäunen, über die er geklettert war. Seine Kleider waren die von Vogelscheuchen und wurden nachts von Pipkins Hunden getragen – er lieh sie ihnen für ihre Streifzüge durch die Stadt. Die Ärmelbünde waren angenagt und die Hosenböden halb durchgescheuert.
Sein Haar? Sein Haar war ein einziges Igelgestrüpp aus hellen, braun-blonden Stacheln, die in alle Richtungen zeigten. Seine Ohren waren der reinste Pfirsichflaum. Seine Hände steckten in Handschuhen aus Schmutz und guten Gerüchen nach AiredaleTerriern und Pfefferminz und stibitzten Pfirsichen aus den Obstgärten draußen vor der Stadt.
Pipkin. Eine Ansammlung von Flinkheit, Duft und Ausstrahlung; ein Querschnitt durch alle Jungen, die je gerannt, hingefallen, aufgestanden und weitergerannt sind.
In all den Jahren hatte ihn niemand je stillsitzen sehen. Man konnte sich kaum daran erinnern, daß er in der Schule eine Stunde lang auf seinem Platz geblieben war. Er war der letzte, der das Schulhaus betrat, und der erste, der herausgeschossen kam, wenn die Glocke den Schultag beendete.
Pipkin, lieber Pipkin.
Der jodelte und Kazoo spielte und Mädchen mehr verabscheute als alle anderen Jungen in der Bande zusammen.
Der einem den Arm um die Schultern legte und einem leise die großen Pläne für diesen Tag ins Ohr flüsterte und einen so vor der Welt beschützte.
Pipkin.
Gott stand früh auf, nur um Pipkin aus dem Haus kommen zu sehen wie eine von diesen Figuren in einem Wetterhäuschen. Und wo Pipkin war, war immer schönes Wetter.
Pipkin.
Sie standen vor seinem Haus.
Jeden Augenblick würde die Tür weit aufgerissen werden.
Pipkin würde in einer Explosion von Feuer und Rauch herausgesprungen kommen.
Und Halloween würde WIRKLICH beginnen!
Komm doch, Joe Pipkin, flüsterten sie, komm doch!

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